Band Aid Deutschland erneute Musikindustrie Nr 1. Wie das?

Auch in der zweiten Notierungswoche kann das deutsche Band Aid 30 Projekt den Platz 1 auf der Liste der ‚erfolgreichsten‘ Singles der Woche in der Rechenweise der deutschen Musikindustrie behaupten. Wie ist das möglich, wenn doch alle Downloadshops den deutschen Band Aid Song nur um Platz 5 herum notiert hatten?
Veröffentlicht wird die Platz 1 Verteidigung von ‚Do They Know It’s Christmas (deutsche Version)‚ durch die deutsche Musikindustrie vom charterstellenden Unternehmen ‚gfk Entertainment‘ am nächsten Freitag (12.12.14) bezugnehmend auf Wertungen von Verkaufszahlen, die in der Chartwoche vom 28.11.14 bis 04.12.14 relevant waren.

Es gibt da natürlich ein paar Fragen, da der deutsche Band Aid Titel in den Downloadcharts der betreffenden Woche, wie gesagt, ‚relativ weit‘ von einem bundesweiten Platz 1 entfernt war.

Hauptursache für die erneute Nummer 1 von ‚Do They Know It’s Christmas (deutsche Version)‚ nach Art der deutschen Musikindustrie waren denn auch nicht Downloadverkäufe, sondern Single CD Verkäufe (insbesondere hier die CD Vorbestellungen, die am Erstveröffentlichungstag der Single CD, dem 28.11.14, alle in die Wertung der Musikindustrie kamen)

Es ist, wie immer eigentlich in so gelagerten Fällen, die Frage, wie denn der Umsatz einer CD Single und im besonderen dieser Single CD ‚JE TRACK‘ gewertet worden sind.
Die Band Aid Single CD enthält ja beide in den Charts notierten Band Aid 30 Songs (und in der teuren Version sogar noch 3 weitere ältere englische Band Aid Titel). Beides sind offizielle singles. Der Umsatz der gesamten Single CD wurde jedoch offensichtlich komplett der deutschen Song-Version zugeschlagen. Das ist unserer Meinung nach nicht wirklich statthaft (wenngleich geschickterweise die deutsche Version dem Anschein nach der Leadtrack ist und es somit rein ‚chartrechtlich‘ möglicherweise d’accor geht, wobei, so wie wir das gelesen haben, die Systembeschreibung der Charts einen Fall von ‚multiplen offiziellen Singles auf einer Single CD‘ gar nicht konkret abdeckt).
Der Fall ist auch nicht vergleichbar mit einem relativ ähnlichen Chartereignis rund um die Lena Meyer-Landrut Single Satellite. Der ‚Lead‘-Charakter des titelgebenden Songs Satellite war hier äusserst eindeutig. Das ist im Band Aid 30 Fall unserer Einschätzung nach doch ganz erheblich anders gelagert.

Wie konnte die deutsche Band Aid Version also Platz 1 verteidigen?

Es gibt bei Amazon Deutschland Band Aid Single CD Versionen á 6,99€ (5 Titel) und 4,99€ (2 Titel). Der Einzelhandelspreis ist uns noch unbekannt dürfte aber ziemlich ähnlich überhöht sein. Beide CDs bewegten sich in der Erstveröffentlichungswoche jeweils um Platz 80 der Amazon CD Charts. Das würde gemäß unserem Hochrechnungsmodell bei Amazon eine wöchentliche Absatzzahl von ca 1.500 Stück insgesamt ergeben haben. Diesen Wert kann man in etwa mit 3 multiplizieren um den Gesamtabsatz der Single (online+traditioneller Einzelhandel) zu schätzen. Ergebnis: ca. 4.500 Stück. (der gesamte Wochenabsatz von Single CDs liegt derzeit bei geschätzt 35.000 bis 40.000 Stück)
Hinzu kommen dann noch die Vorbestellungen (nur die teure Version war vorbestellbar), deren Zahl ganz grob geschätzt bei Amazon 2000 bis 3500 Stück ausgemacht haben kann.
Es könnte somit in der zweiten Notierungswoche eine Verkaufszahl von ca. 6.500 Stück vielleicht sogar 8.000 bis 9.000 in die Wertung gekommen sein. Sollte je Track ein Umsatzwert je Track von 1,7€ zur Rechengrundlage herangezogen worden sein, käme man auf einen chartrelevanten (gewichteten) Umsatzwert von 11.000€ (bei 6.500 Stück) bis 15.3000€ (bei ca. 9.000 Stück verkaufter CD Singles).
11.000€ CD Single Umsatzwert entsprächen 8.600 verkauften Musikdownloads á 1,29€. Bei 9000 abgesetzten Single CDs und demzufolge 15.300€ Umsatzwertung entspricht das dann dem Wert nach schon 11.900 verkauften Musik Downloads á 1,29€.
Leider ist die Systembeschreibung bezüglich der Chartberechnung seitens der Musikindustrie unklar formuliert. Es ist nicht nachrechenbar, wie hoch der Wert wirklich ist, der zur Anrechnung kommt, wenn eine CD verkauft ist und welcher Songs einer Single CD überhaupt relevant sind. Es ist ja offensichtlich so, dass die englischen Band Aid Versionen alle nicht vom Single CD Verkauf profitiert haben.

Wie dem auch sein: Wenn also der gesamte (geschätzte!) Umsatz der Band Aid 30 Single CD Versionen dem Leadtrack (der deutschen ‚Do They Know It’s Christmas‚Version) zugeschlagen worden sind, kann das selbst bei fehlenden Streamingwerten (wie das bei Band Aid bekanntlich der Fall ist) in der Wertung der Single Charts der Musikindustrie ohne weiteres für den Wochen Platz 1 reichen.
Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass Band Aid selbst bei einer reinen Stückzahlenwertung (unabhängig von der Umsatzwertung) in der letzten Woche in Deutschland, zwar knapp, aber denn doch vorne lag.
Leider ist es jedoch so, dass es keine veröffentlichte Chart eines Händlers gibt, die genau das hätte vermuten lassen. Das heisst im Umkehrschluss jedoch nicht, dass es nicht möglich war.
CD Verkäufe sind in der Spitze eben noch immer merklich chartrelevant.

Kommentar:

Man muss anmerken, dass wir das als Trickserei empfinden, wenn die Verkäufe der gesamten Band Aid Single CD nur dem deutschen Titel dieser CD zu Gute kommen. Man kann daher durchaus sagen, dass Universal den Platz 1 der vergangenen Woche ’n bissl‘ zurechtgetrickst hat. Das erzeugt mitnichten ein gutes Gefühl für das, was man in Zukunft vom marktbeherrschenden Musikkonzern Universal in Zukunft (bezüglich dessen Gebarens bei Streaming vor allem) zu erwarten hat. Wer trickst, der wirds nicht sein lassen.

Wird sowas, wie mit Band Aid in Zukunft noch oft passieren?

Die Wahrscheinlichkeit von deutschen Single Nummer 1 Ereignissen, die durch CD Verkäufe maßgeblich miterzeugt werden, wird auf Grund der anhaltend rasch zurückgehenden Single CD Verkäufe in Deutschland immer geringer. Sonderfälle kann es sehr vereinzelt aber auch noch 2015 geben.
Im Jahr 2016 hingegen wird ein Song, der nicht im Streaming, aber gut als Single CD und Download läuft sehr wahrscheinlich nicht mehr Platz 1 der Musikindustrie Single Charts erreichen können (wenn er nicht entweder Download Nr 1, oder Streaming Nr 1 ist). Schon Mitte 2016 könnte in Deutschland das On-Demand Premium-Streaming bereits mehr als 50% der chartrelevanten Umsatzwertung ausmachen.
Wir rechnen ab spätestens Anfang/Mitte 2016 jedoch zunehmend mit ‚ungewöhnlichen‘ Chart-Ereignissen, die durch absichtliche Steuerung der Abspielungen von Songs bei Streaming Diensten erzeugt werden. Das wird Songs betreffen, die zwar übertrieben gesagt ‚keiner kauft‚, aber durch geschickte bzw. intensive Lancierung (z.B. durch versteckte, oder gar nicht so versteckte Werbung) bei den Streaming Diensten zumindest während einer Werbekampagne zu extrem hohen Abspielwerten gelangen.
Problem dabei ist, dass ein simples Anhören eben nicht automatisch ein ‚Gefallen‘ signalisiert, ein Kauf ist hingegen ein sehr ausgeprägtes ‚gefällt mir‘- Signal.
Ein Kauf müsste daher viel höher bewertet werden, als eine einfache Abspielung. Tatsache ist, dass die Musikindustrie in der aktuell gültigen Chartberechnung genau das Gegenteil, nämlich eine unverhältnismäßige Überbewertung von On-Demand Abspielungen bei Streaming Diensten als chartrelevant wertet. Das hat natürlich Gründe…

OLJO-Team

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  • Liebes Oljo-Team,
    mit dem 'Tricksen' habt ihr es aber mal wieder. Wie Universal die Charts überhaupt manipulieren und aus welchen Beweggründen sie das tun sollten, weiß ich nicht. Ihre eigenen Künstler und deren Alben/Songs können Sie nur mit versetzten Veröffentlichungsterminen erscheinen lassen, um möglichst oft einen möglichen Platz 1 zu erreichen, das war's dann aber auch!
    Mitnichten wurde Platz 1 mit Trickserei erreicht. Bei Amazon waren die CDs in den ersten Tagen zeitweise in den tieferen Top 20 bzw. Top 40 gewesen. Platz 80 war dies erst in den letzten zwei Tagen. Da dürft ihr in eurer Schätzung deutlich mehr ansetzen. Ich nehme an, dass nur der Track der deutschen Version zum Tragen kam, da die englische Version ja separat gewertet wird und damit nicht dem Umsatz aus der CD zugerechnet werden kann. Dies entspräche eher dem "Satellite"-Fall.
    Was das Streaming angeht, werden nur Bezahl-Abos für die Chartermittlung herangezogen. Eine Beeinflussung durch lancierte Werbung ist daher auszuschließen. Die Formel - Anzahl Premium-Nutzer multipliziert mit dem Durchschnittlichen Wert eines Premium-Abos dividiert durch die Anzahl der durch Premium-Nutzer getätigten Streams - die halbjährlich überprüft und ggf. angepasst wird, ermittelt den Gegenwert, wie viel Streams einem Tonträgerkauf entsprechen sollen, derzeit etwa 100:1. Regelwerk Gfk Ziffer 3.3.6!
    Problematisch, und da stimme ich euch wiederum zu, ist die Wertung eines Streams bereits ab 31 sec Abspieldauer. Hier wären 90 sec Minimum wesentlich sinnvoller und eine mögliche Manipulation durch simples 'Anspielen' eines Tracks würde sich deutlich verringern.
    Sorry für die Klugscheißerei, aber es muss sein. Ich hangele mich lieber an den Fakten entlang, bevor ich alles in unnötig oder zu Unrecht in Frage stelle.
    Schöne Grüße
    Deutschi

    • Hi Deutschi
      es ist klar dass bissl getrickst wurde. Eine Manipulation, die ja nicht erlaubt ist, ist das jedoch nicht. Es wurde gegen keine der ja selbsterstellten Regeln verstoßen. Man hat halt nur den vollen Spielraum, den die Regeln eben bieten ausgenutzt. Kann man doch mal thematisieren.
      Dass den englischen Versionen nicht auch ein Umsatzanteil der CD Verkäufe zusteht, werten wir als Trickserei, da ja auch die englischen Versionen echte offizielle Singles sind. Wir haben Satellite und Band Aid intensiv verglichen und haben keine hinreichende Ähnlichkeit der Fälle festgestellt. Den zeitversetzten Termin der CD Veröffentlichung haben wir mal ausser acht gelassen, da auch das natürlich ein glatter Trick ist (aber erlaubt).

      Was das Streaming betrifft verstehen wir nicht, was du meinst. Lancierungen sind natürlich auch im Premium Bereich ohne weiteres möglich (vor allem weil ja dieser Bereich chartrelevant ist und damit Kernziel von Lancierungen ist bzw. in Zukunft noch mehr sein wird) Hallo? Auf welchen Informationen beruht denn deine Vermutung, dass die Streaming Interfaces vollkommen neutral sind? Das sind sie nämlich nicht...
      Gemessen wird ja eh nur was gestreamt wird und nicht was die Streamingvorgänge verursacht hat. Das kann auf jeden Fall auch Werbung sein, die allerdings mitunter als 'gut gemeinter' Titelvorschlag oder gut präsentierte Neuvorstellung daherkommt. Man merkt es vielleicht auf den ersten Blick gar nicht, dass es eigentlich Lancierungen sind...
      Abspielungsunterbrechende Werbung gibt es in den Premiumbereichen der Dienste jedoch keine. Werbung kann zudem natürlich auch von ausserhalb sozusagen 'einstrahlen'. Spotify Anker (und Anker anderer Streamingdienste) auf Fremdseiten (also ausserhalb der Interfaces der Dienste) starten ja die betreffende Streaming-Software und den per Link verbundenen Song automatisch usw usf., das ist bei iTunes ja genauso) Nur etwa jeder zehnte Kauflinkclick führt tatsächlich zu einem Kauf. Bei einem simplen Abspiellink kommen nach Click 95% zu wertende Abspielungen zustande (in Deutschland reichen, wie von dir zutreffend ausgeführt, 31 Hörsekunden eines Tracks dafür aus, um vollständig gewertet zu werden. In den USA sind dafür übrigens 90 Sec nötig, die übrigens nicht selten verfehlt werden). Was meinst du warum auf bestimmten Facebook Profilen ständig die Streaminglinks in den Artikeln wiederholt werden? Auch das ist ja oft sogar bezahlte Werbung. Bei FB werden bekanntlich nur gegen Gebühr Postings einer grösseren Zahl von Likern zugänglich gemacht. Zahlt man keine Werbung werden neue Artikel nur 5% bis 10% der FB Liker des betreffenden Profils automatisch zugestellt.

      LG
      Dean
      OLJO-Team

      • Hallo Oljo,
        natürlich dürft ihr das Thema ansprechen, ihr bekommt sogar ein dickes Lob dafür von mir. Was ich sagen wollte ist, dass nicht die chartermittelnde Firma trickst (die bewegt sich immer im Rahmen ihrer selbst erstellten Regeln), sondern höchstens die Firmen deren Produkte chartfähig sind. Zeitversetzte Veröffentlichung von verschiedenen Tonträgern wird wohl dazugehören.
        Was das Streaming angeht, wollte ich lediglich sagen, dass kostenfreie Streamings nicht zur Chartermittlung zählen. Und bei diesen gehe ich von Werbefinanzierung aus, so will alles mit Werbung finanziert wird was nichts kostet. Bei den Bezahl-Streamings ging ich eigentlich davon aus, dass keine Werbung geschaltet wird. Wenn es aber so ist wie ihr es beschreibt (ich stecke da nicht drin und habe mich damit auch nicht tiefergehend beschäftigt), habt ihr natürlich recht und ich habe nichts gesagt und nehme alles zurück.
        Hoffentlich habt ihr mich aber trotzdem noch lieb :-)
        Schöne Grüße
        Deutschi

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