Wird es britischen Castingshow-Hassern gelingen einen von ihnen gepushten Song in der Vorweihnachts Chartwoche auf Platz 1 der englischen Charts zu installieren?
Worum geht es?
Eine zu erheblicher Aufmerksamtkeit in Großbritannien gelangte Aktion von sogenannten unabhängigen Musikblogs, die u.a. über die Onlinedienste Facebook und Twitter vernetzt sind, macht in England ganz erheblich von sich reden. Die Macher dieser Blogs wollen verhindern, dass der Siegersong der Casting Show X Factor 2009 des TV Senders ITV in der Woche vor Weihnachten Platz 1 der britischen Charts als Christmas No 1 erreicht. Sie rufen daher ihre Leser dazu auf den Hip Hop / Hard Rock Crossover Titel Killing In The Name der Band Rage Against The Machine zu kaufen. Wie es scheint findet dieser Aufruf weitverbreitet Gehör, da es eine nennenswerte Gruppe von britischen Musikkäufern gibt, denen die X Factor Hitmaschinerie auf den Geist geht. Ausserdem melden ITV Konkurrenzmedien ganz gerne diese Aktion auf ihren Newsseiten.
Aber die Blogschreiber werden auch ganz persönlich. Sie wollen dem von ihnen sehr ungeliebtem Popmogul Simon Cowell (dem ‚Dieter Bohlen‘ Englands und Chef Juror von X Factor) die Stirn bieten und ihm eine Chart Niederlage beibringen. Das Facebook Account, welches die Aktion gegen X Factor ’steuert‘ hat angeblich unfassbare 381.000 Mitglieder. Unbekannt ist, wer wirklich Inhaber dieses Accounts ist.
Update 10.12.09: Die Mitgliederzahl des ‚RAGE AGAINST THE MACHINE FOR CHRISTMAS NO.1‘ Facebook Accounts ist in nur 2 Tagen auf 536.000 angestiegen!
X Factor Logo (Foto aus dem Jahr 2007 von Daniel Berehulak/Getty Images). Content © 2009 Getty Images. All rights reserved.
Jetzt gibt es natürlich einige Fragen: Warum wurde der Song Killing In The Name zum Konkurrenzprodukt auserkoren? Warum ein alter Song einer amerikanischen Band? Wer steckt da dahinter? Erlaubt das charterstellende Unternehmen überhaupt eine solche offensichtliche Chartbeeinflussung in England, die man durchaus als eine Art Betrug bezeichnen kann? Was passiert mit dem Geld, was bei der ganzen Aktion verdient wird, in wessen Taschen versickert das? Nutzen die Blogger in Wirklichkeit die Popularität von X Factor für eigene kommerzielle Zwecke?
Auf besagtem Facebook Acount ‚RAGE AGAINST THE MACHINE FOR CHRISTMAS NO.1‘ ist zu lesen, dass dringend davon abgeraten wird, Mehrfachkäufe von Killing In The Name vorzunehmen. Mehrfachkäufe werden vom charterstellendem Unternehmen als verdächtig gewertet und würden unweigerlich zur Entfernung des betroffenern Titels aus den Single Charts führen. Doch auch ohne Mehrfachkäufe ist der Aufruf der britischen Blogger ein fragwürdiger Versuch eine Hitparade in ihrem Sinne zu verändern. Hätten die Blogger Erfolg wären Rage Against The Machine mindestens eine genauso ‚künstliche‘ Weihnachts Nummer 1, wie es der X Factor Sieger Song wäre, wenn nicht noch bedeutend künstlicher. Einziger, aber wichtiger Unterschied dabei ist, dass der X Factor Sieger Song immerhin neu komponiert ist, ‚Killing In The Name‘ hingegen ein doch ziemlich oller, nämlich 16 Jahre alter Hut ist. Logisch ist natürlich, dass der Song bei Youtube für Deutsche gesperrt ist…
Nachtrag: Rage Against The Machine sind übrigens ebenso, wie alle X Factor Stars, beim Musikkonzern Sony unter Vertrag. Es wird also nur einen Sieger geben: Das Establishment in Form von Sony…Wieviel hat eigentlich ‚die Industrie‘ mit dem Ganzen zu tun??
Auch der Gedanke, der hinter der ganzen Aktion steckt, ist doch sehr fragwürdig. Die Blogger und ihre Anhängerschaft wollen die britischen Musikkonsumenten zum ‚richtigen‘ Musikgeschmack erziehen, allerdings mit ganz genau den Methoden, die sie selber ablehnen. Das ist natürlich reinster Blödsinn und einfach realitätsfern. Simon Cowells X Factor Show hat eben so enorme Einschaltquoten, dass es in den letzten Jahren immer für die Weihnachts Nummer 1 in England gereicht hat. Die vor allem natürlich jungen Leute kaufen, was ihnen gefällt, sei es auch noch so ‚cheesy‘ (dt: schmalzig). Sie kaufen einen Song sicher nicht, nur um X Factor Juror Simon Cowell einen Gefallen zu tun.
Die besondere Bedeutung der Weihnachts Nummer 1 in England:
Zum Thema muss man wissen, dass in England die sogenannte Christmas No 1 früher noch mehr, als heutzutage, einen doch besonderen Status hat, den es vergleichbar in Deutschland nicht gibt. Es ist eine besondere Ehre die Weihnachts Nummer 1 zu sein, quasi eine Art Ritterschlag.
Die meisten Weihnachts Nummer 1 Hits in der seit 1952 andauernden Geschichte der englischen Charts haben mit je 4 verschiedenen Hits die unvergessenen Mega Stars The Beatles und Cliff Richard erreicht. 3 Christmas Nummer 1 Hits hatten The Spice Girls, immerhin noch je 2 die US Sängerin Whitney Houston und die Rockband Queen. Meistverkaufte Weihnachts Nummer 1 aller Zeiten in England ist Do They Know It’s Christmas des Allstar Projektes Band Aid aus dem Jahr 1984. (Allein in der Woche vor Weihnachten 1984 verkaufte Band Aid 1,2 Mio Single CDs)
Seit 2005 gelangte viermal in Folge ein Sieger/ eine Siegerin der ‚X Factor‘ Castinghow auf die begehrte Christmas Pool Position. Einzig Leona Lewis konnte daraus eine Weltkarriere machen. Zu behaupten, die X Factor Songs wären ’schlechter‘, als anderen Weihanchts-Nummer-1-Hits, ist eine absichtliche und unbeweisbare Verdrehung der Tatsachen.
Das überraschend große Echo, dass die Aktion in England findet, muss natürlich aber auch intensiv zu denken geben. Die britische Öffentlichkeit scheint langsam am Casting Format zu ermüden und überhaupt den Methoden der Musikindustrie immer weniger abgewinnen zu können (man denke da nur an die umfangreichen Videosperrungen, die erheblichen Unmut erzeugen).
Aber was sollen da die Deutschen sagen? In Deutschland wird der Casting Wahn in nächster Zeit auf die Spitze getrieben werden. Nach Popstars Du & Ich und Das Supertalent und der KIKA Kanal Castingshow folgen bald ‚Unser Lied Für Oslo 2010‘ und dann auch noch ‚DSDS‘ und dazwischen wird uns noch Heidi Klums rumgepiepse in den Fernsehschlaf zwitschern. Das gibt den Casting Overkill. Wenn sich eine Antistimmung entwickelt, könnte die in Deutschland noch viel stärker ausgeprägt sein, als in England. Ersten Test ob schon jetzt Ermüdung des Publikums in Deutschland eingetreten ist, werden die Popstars Du & Ich Sieger direkt nach dem 10.12. abliefern Am 19.12., bzw kurz darauf, wird sich dann zeigen, was ein Sieg bei ‚Das Supertalent‘ noch Wert ist.
Newsquellen: yahoo.co.uk, facebook.com, NME u.a.
Oh, wusste ich gar nicht, dass es in Amerika nichts kostet. Naja, angesichts der viel höheren Zuschauerzahlen dort (vor allem wegen der größeren Einwohnerzahl) ergeben sich aber auch deutlich höhere Werbeeinnahmen.
Vox ist ja bisher als einer der wenigen Privatsender nicht unbedingt für Trash-Formate bekannt. Das lässt ein wenig hoffen. Die erste Sendung und das Finale werden aber ja ohnehin auf RTL ausgestrahlt, so dass sie schon dafür sorgen werden, dass das ganze halbwegs vernünftig aufgezogen wird.
Und zum Vergleich Downloadkauf / Telefonvoting: wenn das natürlich alle Anhänger eines Kandidaten so sehen, dann werden sie evtl. nie einen Song zum Downloaden bekommen – weil der Kandidat dann nicht gewinnt und wahrscheinlich auch nix aufnimmt. 😉