Früher als befürchtet gilt ab dem 01.01.14 ein neues Chartregelement der Musikindustrie bei der Berechnung der eigenen Haupt-Musikcharts (Single Top 100 + Alben Top 100).
Wichtigste Änderung: ab sofort wird das ‚per Abo bezahlte‘, also nicht werbefinanzierte on-demand Streaming‘ in die Charts ‚irgendwie‘ mit implementiert.
Die offiziellen Verkaufscharts sind somit aufgegeben worden und durch ein inoffizielles Datenwirrwarr ersetzt.
Das finden wir höchst fragwürdig, zumal es dafür noch gar keinen Anlass gibt.
On-Demand Audio Streams werden bei Media Control, dem Unternehmen, dass die Charts im Auftrag und mit den Regelwerk der Musikindustrie ermittelt, folgendermaßen ‚bewertet‘, wir zitieren:
Anzahl Premium-Nutzer multipliziert mit ‚Durchschnittlicher Wert eines Premium-Abos‘
geteilt durch
Anzahl der durch Premium-Nutzer getätigten Streams.
Das ergibt dann folgendes: 1 Mio Deutsche haben z.B. ein Streaming Abo für einen Preis von im Schnitt 10€ im Monat,
geteilt durch von uns mal getippte 2000 Mio Streams dieser 1 Mio Nutzer im betreffenden Monat. Ergebnis: 0,005€ pro Stream (genauer gesagt im Grunde pro Click…), denn:
gezählt werden Streams ab einer Dauer von 31 Sekunden. Das ist nicht akzeptabel, da zu kurz!.
Gezählt werden dürften nur weitgehend komplett geleistete Streams eines Songs. Alles andere muss man als verdummenden Humbug abtun.
Besonders wichtig ist daher auch zu beachten, dass ‚Anzahl der durch Premium-Nutzer getätigten Streams‘ gilt und nicht die jeweilige tatsächliche Dauer der Streams eines Abo-Kunden in Minuten/Sekunden…
Der ‚Wert‘ eines solchen ‚Streams‘ (der aber, wie gesagt nicht mal im Ansatz komplett geleistet werden muss) entspricht, wie oben erwähnt bei 2000 Mio Streams im Monat 0,005€. 258 ‚Streams‘ entsprechen dann dem Preis eines Standard-Downloads von 1,29€ bei iTunes und Amazon. Top Titel in Deutschland kommen derzeit auf etwa 0,5 Mio Streams durch Premium-Nutzer pro Woche. Das entspricht 1937 Downloads zum Preis von 1,29€.
Allerdings weiss niemand genau wieviele Abokunden es in Deutschland gibt und wie viele Songs sie pro Woche streamen. Sind es 2 Mio Abonnenten, die 1200 Mio Songs pro Woche (=1h Stunde Nutzung am Tag) streamen würde ein top Titel dann schon auf 6456 Download-Äquivalente á 1,29€ kommen. Das wäre bereits schon sehr chartrelevant!
Wie sich die Musikindustrie ab jetzt ihre eigenen Charts zimmern kann, wie sie will = Beschiss ohne Ende ist möglich!
Uns sofort ins Aug fallende Hauptproblem ist, dass eben nicht unterschieden wird, wie denn der Click auf den Stream eines Songs überhaupt ausgelöst wird. Durch Positionierung von kaum erkenntlichen Werbeblöcken, die den Nutzer zum Click animieren, kann die Musikindustrie (oder andere, die Geld für Werbung ausgeben) in den Interfaces der Streamingdienste kinderleicht steuern, wer sich was wie oft anhört bzw. zumindest clickt und teilweise anhört…. Das ist vollkommen inakzeptabel.
Problem ist auch, dass diese Dienste sehr zentralistisch sind, eine Gleichschaltung ist daher sehr leicht möglich. Ein Traum für jeden Musikmanager von Universal & Co.
Fest steht unserer Meinung nach: Streams die durch Click auf eine Werbefläche ausgelöst werden, dürfen in gar keinem Fall gezählt werden! Aus einem schnell gemachten click einen ‚Hit‘ konstruieren zu wollen ist Quatsch mit Soße!
Genauso schlimm: Dadurch, dass auch ‚bei weitem nicht komplett geleistete‘ Streams gezählt werden, kommt es zu dem unakzeptablen Zustand, dass auch Streams, die ‚dem User gar nicht gefallen haben‚, die also deutlich vorzeitig beendet werden (warum sollte man sonst das Hören beenden) als vollwertig gezählt werden. Das kann nicht sein, vollkommen unakzeptabel.
Und: ist ein Song-Stream, der durch Abspielen einer vom Abonnenten erstellten Liste ‚meine derzeitigen Lieblings-Hits‘ wirklich wertbar?
Auch ungut: Tatsächlich müssten die Streaming-Anbieter wochengenaue Datenmeldungen abgeben (da glauben wir nicht so ganz dran, dass das so laufen wird). Das ergibt dann eine ständig sich verändernde Bewertungshöhe des einzelnen Streams. Im Sommer, wenn viele im Urlaub sind, ist plötzlich ein Stream ein Drittel mehr wert…
Werden die Charts noch langweiliger?
Noch ein großes Problem haben wir ausgemacht: die Analyse von Streaming Song Charts unsererseits hat in den letzten Jahren ergeben, dass es einen extrem starken Nivellierungseffekt gibt. Die Nummer 1 kommt kaum über die dreifache Zahl von Streams, wie eine Nummer 50. In den Verkaufscharts: im Schnitt verkauft die Nummer 1 etwa 10 mal soviel, wie die Nummer 50. Schon bald wird sich zeigen, dass viele besonders beliebte Songs sich durch den Nivellierungseffekt noch länger in den Top 100 der Musikindustrie Charts halten werden. Das wird sich als uninteressant erweisen.
Album Streams? Gibt es das überhaupt?
Ganz undurchsichtig wird es dann bei den Bewertungen von Album Streams. Hier gibt sich die Musikindustrie in ihrem ‚Neuem Chartregelement 2014‘ sehr schmalzüngig: laut Chartregelwerk gilt, wir zitieren: ‚Album-Äquivalente zählen für die entsprechenden Album-Charts‘.
Aha! Album Äquivalente…was soll das denn sein? hm? Hier zeigt sich das entscheidende Problem der Streaming Services im Bereich Alben. Album Streams gibt es nämlich gar keine (bzw. fast keine), sondern quasi nur Song Streams. Welche Songstreams gehen denn dann in die Wertung ‚Album Äquivalent‘ und welche in die Song-Only Wertung, oder wird gleich mal alles doppelt gezählt? Nach Gutdünken, oder was? Kann es ja wohl nicht sein.
Insgesamt sehen wir fast keine Vorteile in der Implementierung von Streaming.
Einziger Vorteil ist vielleicht, dass der Geschmack jüngerer Leute unter 30, die derzeit wohl noch die Mehrheit der Nutzer von Streaming Diensten ausmachen, etwas ‚verbessert‘ in den Musikindustrie Charts zur Geltung kommen wird. Aber mehr so im Bereich wohl ab Platz 30. Das interessiert nur kaum jemanden was ab Platz 30 passiert…Zudem dürften ‚die Jüngeren‘ auch bei den Streaming Diensten schon in nicht allzuferner Zukunft zahlenmäßig ins Hintertreffen geraten.
Wir kommen somit zu dem Schluss, dass sich die Media Control Charts (Top 100 Alben und Top 100 Singles) nicht mehr mit dem Titel ‚Offizielle Verkaufschart‘ brüsten können. Good Bye!
Es handelt sich nur noch um ein inoffizielles Datenmischmasch (nicht mal á la Billboard, da dort auch Gratisstreams Video + Audio mit drin sind, bei Media Control jedoch nicht…). Schlagsahne kann man mit Sauerkraut nicht mischen. Das schmeckt nicht.
Die Entwertung des Tonträgerkaufes durch Implementierung von On-Demand-Streaming sollte sich möglichst auch ab sofort in den Preisen für Tonträger in Deutschland wiederspiegeln. Die müssen nämlich gesenkt werden…
Wie nennt man eine solche Media Control Musikindustrie Nummer 1 ab jetzt? Meistverkaufter Song fällt jedenfalls endgültig flach.
@Deutschi: Die Charts und Jahrescharts basieren ja eigentlich schon jetzt bloß auf Punkten und nicht auf Verkäufen. Die Punkte werden dann übers Jahr zusammengezählt. Die Streamingergebnisse werden dann ab sofort in die wöchentlichen Punkte einberechnet sodass die Ermittlung der Jahrescharts eigentlich genau so aussieht wie früher würde ich sagen.
Unter dem Gesichtspunkt, dass der Umsatz für die Plattenfirmen für jeden Stream gleich ist ist natürlich die Regel, nur Premiumstreams zuzulassen, merkwürdig…
Was die reduzierten Songs sind kann man geteilter Meinung sein. Meiner Meinung nach gibt es da keine perfekte Regelung. Einerseits stimme ich euch zu, dass es blöd ist, wenn ein Song sehr häufig verkauft wird und dann in den Charts weiter unten landet. Andererseits wäre es aber auch nicht toll, wenn durch Reduzierung bestimmter Songs diese direkt in die Top 10/Top 20 katapultiert würden..